Sybelstr. 55, Charlottenburg

Julius Loewenberg
* 31.05.1882 in Gülzow, Pommern

Parallel zur schon damals bekannten Berliner Flaniermeile Kurfürstendamm verläuft die Sybelstraße durch Charlottenburg. Julius Löwenberg bezog dort 1937 eine Wohnung im Haus Nummer 55 – einem Gründerzeitbau. Die meisten jüdischen Familien Berlins wohnten in den 1920er-Jahren in den Stadtteilen Wilmersdorf und Charlottenburg – zuvor, Ende des 19. Jahrhunderts, noch vermehrt im Bezirk Tiergarten. Allein aus der Sybelstraße deportierten die Nationalsozialisten ungefähr 400 Jüdinnen und Juden. Zehn von ihnen wurden – wie Julius Löwenberg – mit dem »5. Osttransport« nach Minsk verschleppt.
Von dem mannigfaltigen jüdischen Kulturleben rund um den Ku’damm konnte Julius Löwenberg nur wenig bestaunen. In den »Goldenen Zwanzigern« lebte er noch in Pommern. Im »Wilden Westen«, wie die Berliner die Gegend um den Ku’damm nannten, trafen sich Kunstschaffende, Geschäftsleute oder Mäzene im Romanischen Café, im Restaurant Kempinski oder im Theater des Westens. Gleichzeitig florierten die Geschäfte – vor allem Modeboutiquen prägten den Boulevard. Julius Löwenberg arbeite zu dieser Zeit selbst in einer Mode- und Manufakturwarenhandlung – allerdings im ländlichen Pommern.
Als Kaufmann war Julius Löwenberg in der Region tätig, in der er als Sohn von Salomon, genannt Sally, und Fanny Löwenberg am 31. Mai 1882 geboren worden war. Sein Geburtsort Gülzow gehörte zum pommerischen Landkreis Cammin, in dem in seiner Jugend eine kleine jüdische Gemeinde mit etwas über 150 Mitgliedern bestand. Die Familie Löwenberg betrieb in Gülzow gemeinsam ein Geschäft für Mode und Manufakturwaren. Auch im 20 Kilometer entfernen Ort Greifenberg unterhielten sie einen Laden. In Greifenberg brachte Julius Löwenbergs Ehefrau Gertrud Löwenberg, geb. Levy, am 16. Januar 1912 die gemeinsame Tochter Ruth zur Welt. Über seine Ehefrau ist, außer dass sie früh verstarb, nichts weiter bekannt.
In den 1930er-Jahren erstarkte die NSDAP auch in Pommern. Dadurch nahmen die Boykotte und die Gewalt gegen die jüdischen Kaufleute zu, sodass sie wirtschaftlich nicht mehr existieren konnten. Bis 1938 waren alle jüdischen Geschäfte in der Region geschlossen worden. Die Familie Löwenberg war ebenfalls gezwungen, ihren Handel zu verkaufen, und zog 1937 nach Berlin-Charlottenburg, um sich eine neue Existenz aufzubauen. Arthur, der Bruder Julius Löwenbergs, und dessen Ehefrau Gertrud versuchten einen Neuanfang mit den beiden Kindern Max und Ilse Löwenberg. Jedoch konnten sie in Berlin wirtschaftlich nicht mehr Fuß fassen. Die Nationalsozialisten deportierten Arthur, Gertrud und Max Gerhard Löwenberg im Rahmen der sogenannten Fabrikaktion am 1. März 1943 ins Konzentrationslager Auschwitz, wo sie ermordet wurden. Nur Julius Löwenbergs Nichte Ilse gelang es, nach Palästina zu fliehen. 1973 jedoch wurde sie im Jom-Kippur-Krieg verwundet und verstarb an den Folgen der schweren Verletzungen. Zuvor hatte sie in Tel Aviv gelebt.
Julius Löwenberg war schon bald nach seiner Ankunft in Berlin von der sich radikalisierenden Gewalt unmittelbar betroffen. Während des Novemberpogrom 1938 wurden im gesamten Deutschen Reich Synagogen in Brand gesetzt – so auch in der Fasanenstraße unweit des Berliner Ku’damm – und ungefähr 30 000 Juden – ausschließlich Männer – in Konzentrationslager verschleppt. Mehre Tausend kamen nach Sachsenhausen –unter ihnen auch der 56-jährige Julius Löwenberg. Er erhielt die Häftlingsnummer 009101.

Hans Reichmann, der zeitgleich Häftling im Konzentrationslager war, beschrieb die Ohnmacht und die alltägliche Gewalt: »Dreizehntausend Männer werden von einem Dutzend Maschinengewehren und ein paar Hundert jungen Burschen in Schach gehalten. […] Täglich werden Kübel von Schmutz über ehrenhafte Männer gegossen, achtzehnjährige Jungen lassen Häftlinge, die ihre Großväter sein könnten, bellen und krähen […] Männer werden von Knaben geschlagen, getreten, gedemütigt und – Männer werden von Knaben erschossen!«

images/GB_small/58_JuedischesKrankenhaus.jpg

Jüdisches Krankenhaus Berlin in der Iranischen Straße 2., Oliver Gaida
Am 12. Dezember 1938 verfügte der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei Heinrich Himmler, dass jüdische Häftlinge, die älter als 50 Jahre sind, entlassen werden sollen. Zwei Tage später kam so auch Julius Löwenberg frei. Er kehrte nach Berlin zurück, stand jedoch weiter unter polizeilicher Beobachtung. Zwar durfte Julius Löwenberg weiter in der Sybelstraße 55 wohnen, aber das Leben wurde für ihn immer beschwerlicher. Jüdinnen und Juden war es seit 1939 verboten, abends die Wohnung zu verlassen, ab September 1941 musste sie den »Judenstern« sichtbar an ihrer Kleidung tragen. Zur selben Zeit zwangen die nationalsozialistischen Behörden auch Julius Löwenberg zur Zwangsarbeit. Seine Tochter Ruth, die zeitweise mit ihm in der väterlichen Wohnung lebte, war zu dieser Zeit als Krankenpflegerin im Jüdischen Krankenhaus in der Iranischen Straße 2 beschäftigt. Da die Nationalsozialisten die einstmals renommierte Klinik mehrfach schließen ließen, konnte der Betrieb dort kaum aufrechterhalten werden. Die Klinik bekam zudem kaum medizinischen Nachschub für die Kranken zugeteilt, weil sie bei den kriegsbedingt knappen Ressourcen als Letztes berücksichtigt wurde. Julius Löwenbergs Tochter Ruth heiratete Fritz Elkan, der mit ihr im Jüdischen Krankenhaus arbeitete. Sie lebten gemeinsam im Klinikgebäude. 1943 kam die gemeinsame Tochter Chana zur Welt. Bald darauf, am am 15. Oktober 1943, wurden Fritz und Ruth Elkan sowie ihre erst knapp drei Monate alte Tochter zunächst in das Ghetto Theresienstadt deportiert, später kamen sie ins Konzentrationslager Auschwitz, wo sie ermordet wurden.
Bereits zwei Jahre vor ihrer Deportation war Ruths Vater Julius Löwenberg aus seiner Wohnung in der Sybelstraße 55 geholt worden. Vom Gleis 17 des Bahnhofs Grunewald wurde er am 14. November 1941 nach Minsk deportiert. Das Haus, in dem er mit seiner Familie einst lebte, existiert heute nicht mehr. Es wurde bei der Bombardierung der Stadt beschädigt und in der Nachkriegszeit abgerissen. Heute klafft dort eine Lücke, durch die seit der Nachkriegszeit die Lewishamstraße verläuft.

Autor/Autorin: Oliver Gaida