Irma Abarbanell war eine außergewöhnliche und selbstbestimmte Frau, deren bewegtes Leben sie von Prag über Stettin nach Berlin führte. Geboren
wurde sie im Prag der 1880er Jahre. Zu dieser Zeit war Prag mit seinen
Kaffeehäusern, Theatern und Musikbühnen das Zentrum des kulturellen
Lebens in Böhmen. Das vielfältige Kulturleben wurde maßgeblich durch
jüdische Schriftstellerinnen und Schriftsteller sowie Kunstschaffende
geprägt. Unter diesem Einfluss wuchs
Irma Stransky in der Stadt an der Donau auf. Im Alter von 27 Jahren,
1909 heiratete sie den vier Jahre jüngeren Kaufmann
Leopold Albert Abarbanell (*1886 in Potsdam) und zog mit ihm nach Stettin, der Hauptstadt der preußischen
Provinz Pommern. Im selben Jahr wurde am 1. Dezember ihr erster
Sohn Hans geboren. Zwei Jahre darauf folgte am 5. Juni die
Tochter Ruth und im Jahre
1916, am 30. April der Sohn
Peter Klaus.
Vor dem Ersten Weltkrieg betrieb Irma Abarbanell in Stettin ein eigenes, gut gehendes Damenhutgeschäft. Ihr Beruf nannte sich zu der Zeit Putzmacherin. Das Putzmachergewerbe
gehörte, wie auch der Schneiderberuf, zu den handwerklichen
Tätigkeiten, die schon seit dem Mittelalter von der jüdischen
Bevölkerung ausgeübt werden durften. Als Pendant zu Hutmachern, die Männerhüte herstellten, fertigten Putzmacherinnen Damenhüte an. Auch die Ausstaffierung von
bereits geschneiderter Kleider mit modischen Accessoires gehörte zu dem
Berufsbild. Dass eine verheiratete Frau mit drei Kindern ein eigenes
Geschäft betreibt, war zu der damaligen Zeit sehr selten. Zwar gab es
zunehmend Frauen, die als Angestellte vor der Ehe ihr eigenes Geld
verdienten, mit der Ehe und Familiengründung hatte dies jedoch meist ein
Ende.
Der Beginn des Ersten Weltkriegs
brachte Veränderung in das Leben der Familie Abarbanell. Während des
Krieges war Leopold Abarbanell als Frontkämpfer im Einsatz. Nach
Kriegsende verließ die Familie 1919 Stettin und zog nach Berlin-Friedenau in die Kaiserallee.
Welchem Beruf Leopold Abarbanell in Berlin nachging ist nicht bekannt.
Die Wohngegend lässt vermuten, dass die Familie gut situiert war. In den
ersten Jahren in Berlin hatte Irma Abarbanell kein eigenes Geschäft
angemeldet. Drei Jahre nach dem Umzug nach Berlin scheiterte die Ehe von Irma und Leopold Abarbanell. Die Eheleute ließen sich 1922 scheiden. Scheidungen
waren in den 1920er Jahren nicht sehr häufig, kamen aber unter
jüdischen Eheleuten etwas öfter vor als bei Nicht-Juden. Als häufigster
Scheidungsgrund galt, vorwiegend von Männern begangener, Ehebruch. Aus welchen Gründen die Ehe geschieden wurde, ist nicht bekannt. Der Sohn Peter Abarbanell erwähnte später, dass die Ehe „durch die Schuld meines Vaters geschieden wurde.“ Die Scheidung wurde zugunsten Irma Abarbanell ausgesprochen und sie erhielt das Sorgerecht für die drei gemeinsamen Kinder. Noch im selben Jahr eröffnete Irma Abarbanell wieder einen Putzsalon in der grosszügigen Wohnung in der Kaiserallee.
Aufgrund des Lebensstils kann darauf geschlossen werden, dass die Familie Abarbanell dem jüdischen Bürgertum angehörte. Ausbildung, Erziehung und ein kultivierter Lebensstil waren die Grundpfeiler dessen Selbstverständnisses.
Auch Irma Abarbanell legte viel Wert auf die Bildung ihrer Kinder, sie brachte sie früh in Berührung mit klassischer Musik und Kunst.
Peter Abarbanell war in seiner Schule stets Klassenbester und mit
Anfang 20 sprach er fließend fünf Sprachen. Obwohl er selbst nicht
künstlerisch tätig war, hatte er eine große Liebe für die Kunst. Auch
sein älterer Bruder Hans wurde stark durch die kunstliebende Mutter
beeinflusst. Er wurde Maler und Bildhauer und betätigte
sich später auch als Restaurateur von Kirchen. Über den Werdegang der
Tochter Ruth ist nicht vieles bekannt. Wie ihre Mutter liebte auch sie
die klassische Musik.
Leopold Abarbanell zahlte nur unregelmäßig Unterhalt und Irmas Geschäft brachte nicht genug Geld für die Familie ein. Das Haushaltsgeld
reichte kaum aus um die Miete zu bezahlen. Deswegen musste Irma
Abarbanell nach der Scheidung das möblierte Klavierzimmer in ihrer
Wohnung untervermieten. Meist waren es Künstler und Musiker, an die sie
das Zimmer vermietete.Die finanzielle Lage der Familie verschlechterte sich mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten zusehends. Ab dem Sommer 1933 fand Irma Abarbanell durch den erstarkenden Antisemitismus
keine Untermieter mehr. Auch ihre Kundinnen für die sie Hüte
herstellte, mieden sie fortan aufgrund ihrer jüdischen Abstammung. In dieser schwierigen Situation entschied sie sich dazu im Januar 1934
ihre Wohnung aufzugeben, die Möbel einzustellen und mit ihrem
siebzehnjährigen Sohn Peter in ihre Heimatstadt zurückzukehren. Ihre
Kinder Hans und Ruth waren vermutlich schon von zu Hause ausgezogen. In Prag wohnte Irma bei einer ihrer Schwester. Der Sohn Peter besuchte das örtliche Gymnasium und schloss die Schule mit der Reifeprüfung ab. Unterdessen versuchte Irma Abarbanell in Berlin erneut Fuß zu fassen. Sie mietete sich eine Drei-Zimmer-Wohnung in der Knesebeckstraße im gutbürgerlichen Bezirk Berlin-Charlottenburg und versuchte wiederum Untermieter zu finden.
Anfang März 1935 kehrte
Peter Abarbanell zu seiner Mutter zurück. Vergeblich versuchte er in
Berlin eine Anstellung zu finden. Zwei Monate später entschloss sich der
nun 19 jährige Peter, nach Spanien auszuwandern. Irma Abarbanell
hätte sich sehr gewünscht, dass ihr jüngster Sohn bei ihr bliebe, doch
in Berlin hatte er keine Zukunftschancen. Als Peter Berlin verließ, sah
er seine Mutter zum letzten Mal. In Barcelona fand er eine Arbeit als Pressefotograf bei der renommierten Presseagentur Keystone. In dieser Agentur lernte er auch den Schriftsteller Ernest Hemingway kennen, der zu dieser Zeit ebenfalls für Keystone arbeitete.
Nicht nur Peter versuchte sein Glück im Ausland. Auch die anderen beiden Kinder von Irma Abarbanell verließen das Deutsche Reich.
Hans Abarbanell, frisch vermählt mit einer gewissen
Edith Karczinski, zog
1935 nach
Prag wo er als Restaurateur für alte Kirchen Arbeit fand. Nach
Kriegsausbruch floh er wie viele andere Jüdinnen und Juden nach
Großbritannien. Da er kein
Visum hatte, wurde er verhaftet. Ab
1940 begann Großbritannien die aus dem Deutschen Reich stammenden Flüchtlinge in Länder des
Common Wealth zu deportieren.
Gemeinsam mit rund 2000 jüdischen Flüchtlingen und über 400 Kriegsgefangenen, darunter auch 200 Nationalsozialisten, wurde
Hans Abarbanell auf der
HMT Dunera nach
Australien deportiert. Danach wurde er in einem Gefangenenlager in
Hay, New South Wales interniert. Wo sich seine Frau zu dem Zeitpunkt aufhielt, ist unklar.
Ruth Abarbanell hatte inzwischen ebenfalls geheiratet. Mit ihrem Ehemann, dessen Name nicht bekannt ist, emigrierte sie
1939 nach
Den Haag. Unter der deutschen Besatzung wurde sie im Lager
Westerbork inhaftiert.
In Berlin verschlechterten sich Irma Abarbanells Lebensumstände zusehends. Durch die zahlreichen Nationalsozialistischen Verordnungen und den Kriegsausbruch war sie gezwungen eine Stelle als Haushälterin und Putzfrau anzunehmen.
Ab September 1941 musste sie den »Judenstern« tragen. Im November 1941 wurden ihre Wohnungseinrichtung und sämtlicher Hausrat beschlagnahmt und sie wurde mit dem V. Osttransport nach Minsk deportiert. Die Umstände unter denen sie im Ghetto Minsk gelebt hat und wie sie ums Leben kam, bleiben weitestgehend im Dunkeln. Sie gilt als verschollen.
Auch über den Verbleib von Leopold Abarbanell war lange nichts bekannt. Sein Sohn Peter fand über Nachforschungen heraus, dass er während einer Bombardierung in Berlin ums Leben kam.
Ruth Abarbanell wurde mit dem 1. Transport aus Holland im April 1943 nach Theresienstadt deportiert. Sie überlebte die Inhaftierung, trug aber schwere psychische Schäden davon. Nach Kriegsende zog sie wieder nach Den Haag. Über ihr weiteres Leben ist nichts bekannt.
Hans Abarbanell konnte nach Kriegsende aus Australien nach England zurückkehren und lebte dort mit seiner Frau Edith. 1968 wurde er von seinem Bruder Peter ausfindig gemacht. Hans Abarbanell betätigte sich nach seiner Rückkehr in London als Kunst- und Antiquitätensammler. Er stand in engem Kontakt mit dem British Museum, welches in den 1960er Jahren mehrere Stücke von ihm erwarb. Er starb 1997 bei einem Brand in seiner Wohnung in London.
Peter Abarbanell arbeitete nach dem Krieg in Paris und Genf bei der Hilfsorganisation American Jewish Joint Distribution Committee. Der JDC fungierte
nach 1945 als Zentralorganisation aller jüdischen Wohlfahrtsverbände
und kümmerte sich um die überlebenden jüdischen Displaced Persons in
Deutschland, Italien und Osteuropa. In Genf lernte er seine Frau Francine, geborene Jeanneret, kennen und lebte mit ihr in glücklicher Ehe bis zu seinem Ableben 1989.